Presseartikel aus TAZ, Fr, 16. Februar 2005

Wann ist eine Bar eine Bar?
Am Übergang zwischen Objekt und Abbild: Die Galerie Laura Mars zeigt Werke und Installationen von Philip Wiegard, die sich irgendwo zwischen der zweiten und der dritten Dimension bewegen. Aber Vorsicht, nicht hinsetzen!

von SEBASTIAN FRENZEL

Das "Möbel Olfe" am Kottbusser Tor ist so ein Laden, wo einem die Welt schon mal schräg vorkommen kann und der Blick nach unzähligen Getränkerunden verschwimmt. Eine Installation des Künstlers Philip Wiegard tut da ein Übriges: Über der Toilette der Bar ist ein Ensemble von Sitzmöbeln angebracht, die, abgesehen von ihrer luftigen Höhe, zunächst vollkommen normal wirken. Doch etwas stimmt hier nicht: Die Sitzflächen der Stühle sind weggeschnitten. Sie sind so schmal, dass man sich nie auf ihnen niederlassen könnte.

Was zu später Stunde im Olfe widerspuchslos durchgehen mag, das lässt einen in der Galerie Laura Mars, die jetzt Werke Philip Wiegards zeigt, verwundert und irritiert dastehen. Eine hölzerne Theke erstreckt sich in einer Ecke des Ausstellungsraumes, Hocker stehen davor … doch was sich in der Frontalansicht als Bar ausgibt, verflüchtigt sich als optische Illusion, sobald man um das Werk herumschreitet. Ist diese Bar zum Hinsetzen oder zum Hinsehen da? Und ist dies überhaupt noch eine Bar oder nur mehr deren Illustration?

Um den Übergang von Objekt und Abbild, von Wirklichkeit und Darstellung geht es in den Werken Philip Wiegards. Für seine Installationen macht der 27-jährige UdK-Absolvent zunächst Fotos von Stühlen, Kinosesseln oder eben einer Bar und guckt dann, was er von den Objekten wegschneiden kann, ohne den Eindruck der Räumlichkeit zu zerstören. Die Vorgehensweise eines Malers (und des Fotoapparates), mithilfe der zentralperspektivischen Verkürzung die Illusion von Dreidimensionalität aufrechtzuerhalten, überträgt Wiegard auf die Bildhauerei. Heraus kommen dabei Gebilde, die noch nicht Bild, aber auch nicht mehr Gegenstand sind, die irgendwo zwischen der zweiten und dritten Dimension pendeln.

Auch die Reliefs an den Wänden der Galerie gehen nicht in dem auf, was sie zu sein scheinen. Schwer und massiv wirkt eine Arbeit mit dem Konterfei des "Dschungel-Camp"-Moderators Dirk Bach, dabei handelt es sich bloß um schwarzen Kunststoff. Die Arbeit "Sneakers" besteht aus in Polystyrol gepressten Abdrücken von zerknautschten Nike-Turnschuhen - wie rare Sammlerobjekte hängen sie da, ein Paar in Weiß, eines in Gold.

Aufgeplusterte TV-Stars, deformierte Markenware - innen sind diese Wandembleme hohl, leere Projektionsflächen für den Fernsehzuschauer und den Kunden. Zerschneiden, Verformen, Pressen: Philip Wiegard dekonstruiert und setzt neu zusammen, und dabei geht es um mehr als den kurzen Aha-Effekt einer optischen Täuschung. Ihrem Kontext und ihrer ursprünglichen Gestalt beraubt, werfen seine Arbeiten Fragen über die Funktion und das Wesen der Dinge auf: Ist Identität eine Frage der äußeren Form oder der konventionellen Zuschreibung? Ist eine Bar noch eine Bar, auch wenn man kein Glas mehr auf ihr abstellen kann? Wer macht den Markenschuh zum Fetisch, den Star zur leeren Hülle? Als Betrachter steht man mittendrin in diesem Wechselspiel der Definitionen und Projektionen, des Erkennens und des Hineindeutens. "Was bin ich", scheinen die deformierten Objekte am Ende zu sagen. "Und wer bist du, der mich da anblickt?" Keine schlechte Frage, für Abende im Olfe wie im Ausstellungsraum.



Philip Wiegard: Bis 25. 2. in der Galerie Laura Mars, Sorauer Str. 3, Kreuzberg taz Berlin lokal Nr. 7592 vom 16.2.2005, Seite 26, 111 Zeilen (Kommentar), SEBASTIAN FRENZEL


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